Scheinselbständigkeit vermeiden und Arbeitnehmerüberlassung vermeiden bei agilen Teams

Scheinselbständigkeit vermeiden und Arbeitnehmerüberlassung vermeiden

Die MUSS-Folge für Führungskräfte und Mitarbeiter, die externe Mitarbeiter beschäftigen.

Für wen ist diese Folge relevant? 

– Für alle die mit externen Lieferanten arbeiten,
– das Ganze agil machen möchten
– und nicht scharf auf eine Strafanzeige und gewaltige Nachzahlung sind.

Ein Beispiel

Stell dir mal Folgendes vor: Du beauftragst 3 externe Entwickler,
– die sitzen jeden Tag bei euch im Büro mit den anderen Entwicklern zusammen,
– die bekommen in ihrer Retrospektive auch gesagt, wie sie ihre Arbeit zu tun haben
– und die sollen spätestens um 09:30 da sein, weil dann auch das daily beginnt.
 
Und jetzt steht eines Tages der Zoll vor eurer Bürotür und stellt dem Team Fragen.

Kurze Zeit später bekommst Du einen Brief von der Sozialversicherung  mit einer
– gewaltigen Nachzahlung
– einer Strafanzeige wegen Steuerhinterziehung
– und Du hast drei neue festangestellte Mitarbeiter.
 
Je nach Speckgürtel und Größe eures Unternehmens kann das dann in wenigen Wochen dazu führen, dass ihr Insolvenz anmelden müsst.

Im Gespräch mit IT-Sourcing Experte Kristian Borkert  

Und damit das nicht passiert, habe ich heute einen spannenden Gast eingeladen: Kristian  Borkert von Juribo!
– Kristian ist Anwalt, der klar spezialisiert ist auf IT-Recht und IT-Sourcing
– und damit ein wahrer Experte auf diesem Gebiet.

Und was mir auch immer wichtig ist: Kristian spricht Klartext!

Viel Vergnügen mir dieser Folge! Weiter unten steht auch das gesamte Transkript!

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Das Transkript des Interviews um Scheinselbständigkeit zu vermeiden

Tino Volbracht:
Herzlich willkommen beim Podcast „Agiles Projektmanagement“. Heute gibt es wieder ein sehr wichtiges Thema, das für alle interessant ist,

  • die mit externen Lieferanten arbeiten,
  • das Ganze agil machen möchten
  • und nicht scharf auf eine Strafanzeige und gewaltige Nachzahlungen sind – also Scheinselbständigkeit vermeiden wollen.

Stelle dir mal Folgendes vor: Du beauftragst 3 externe Entwickler und die sitzen jeden Tag bei euch im Büro mit den anderen Entwicklern zusammen, die bekommen in ihrer Retrospektive auch gesagt, wie sie ihre Arbeit zu tun haben, und die sollen spätestens um 9.30 Uhr da sein, weil dann auch euer Daily beginnt.

Und jetzt stehen eines Tages ein paar Beamte vor eurer Bürotür und stellen dem Team fragen. Kurze Zeit später bekommst du einen Brief von der Sozialversicherung mit einer gewaltigen Nachzahlung, einer Strafanzeige und du hast vielleicht auch noch 3 neue fest angestellte Mitarbeiter und kannst das Ganze nicht richtig ablehnen.

Je nach Speckgürtel und Größe eures Unternehmens kann das dann in wenigen Woche dazu führen, dass ihr Insolvenz anmelden müsst.

Und damit das nicht passiert, habe ich heute einen spannenden Gast eingeladen, und zwar Kristian Borkert von JURIBO. Kristian ist Anwalt, der ganz klar spezialisiert ist auf das Thema IT-Recht und IT-Sourcing, und damit ein wahrer Experte auf diesem Gebiet. Und was mir auch immer sehr wichtig ist: Kristian spricht Klartext. Kristian, ganz herzlich willkommen.
 
Kristian Borkert:
Ja, Tino, auch von meiner Seite erst mal herzlichen Dank für die Einladung, hier sprechen zu dürfen. Ich freue mich sehr auf unseren kleinen Austausch zum Thema Scheinselbstständigkeit und vermutlich auch Arbeitnehmerüberlassung zur Abgrenzung.

Was ist Scheinselbständigkeit? 

Tino Volbracht:
In der Tat. Das ist auch schon ein gutes Schlüsselwort. Kristian, was ist denn eigentlich Scheinselbstständigkeit?
 
Kristian Borkert:
Ja, Scheinselbstständigkeit kommt eigentlich aus der Rentenversicherung. Da geht es darum, einfach festzustellen, ob tatsächlich ein Selbstständiger befreit ist von der Rentenversicherung und eben dort nicht einzahlen muss und sich selber um seine Altersvorsorge kümmert oder ob er eigentlich eher ein arbeitnehmerähnliches Verhältnis hat und deshalb ein Scheinselbstständiger ist. Da gibt es ziemlich viel Durcheinander zum Thema Arbeitnehmerüberlassung. Das hat nämlich ganz ähnliche Kriterien, ist aber getriggert aus dem Thema Arbeitsverhältnis heraus und wird gesteuert von der Arbeitsagentur. Und wenn dann da eine Prüfung kommt, dann kommt der Zoll vorbei. Wir kennen das Thema Arbeitnehmerüberlassung, früher hieß es „Zeitarbeit“, schon seit Jahren. Es hat zum 1.4.2017 da eine ganz wichtige Änderung gegeben. Wer sich vorher noch erinnert: Da gab es so die Strategie von einigen IT-Dienstleistern, sich rein auf Vorrat eine Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung zu holen. Und der Effekt war dann so: Wenn man dann tatsächlich in der Leistung eine Arbeitnehmerüberlassung durchgeführt hat, dann hatte man wenigstens die Erlaubnis und die Arbeitnehmerüberlassung war nicht rechtswidrig, und damit hatte ich halt so einen Fallschirm, deshalb hieß es auch „Fallschirmlösung“, um eben nicht in die negativen Folgen des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes reinzurutschen.

Hier hattest du das Gesetz vorhin schon erwähnt: Wenn es zu einer rechtswidrigen Arbeitnehmerüberlassung kommt, fingiert einen Arbeitsvertrag für den überlassenen dann Arbeitnehmer mit dem Unternehmen, das ihn entliehen hat, und dann werden eben auch Zahlungen für Sozialversicherungsbeiträge et cetera fällig plus gegebenenfalls Bußgelder. Und das ist natürlich etwas, was wir über Gestaltung und Umsetzung von so einem Verhältnis vermeiden können. Vielleicht hat der ein oder andere in dem Zusammenhang auch schon mal den Begriff „Scheinwerkvertrag“ oder „Scheindienstvertrag“ gehört.

Scheinwerkvertrag, Scheindienstvertrag ähnelt sich jetzt auch sehr der Scheinselbstständigkeit, das sind aber Themen, die aus der Arbeitnehmerüberlassungsgeschichte her sich entwickeln. Das ist so mal eine kurze Abgrenzung.

Eine weitere, ganz einfache Abgrenzung ist im Prinzip: Bei der Scheinselbstständigkeit habe ich 2 Personen, nämlich den Selbstständigen oder Scheinselbstständigen und das Unternehmen, das mit ihm zusammenarbeitet.

Bei dem Thema Arbeitnehmerüberlassung habe ich klassisch immer ein Dreiecksverhältnis. Zeitarbeit oder Arbeitnehmerüberlassung funktioniert eben nur so, dass das Zeitarbeitsunternehmen, der Verleiher, einen Arbeitnehmer anstellt zur Arbeitnehmerüberlassung und den dann in das Unternehmen seines Kunden, also des Entleihers, reinschiebt, als ob es ein Arbeitnehmer des Kunden wäre. Also dieses klassische arbeitsrechtliche Direktionsrecht wird eben mit diesem Vertrag auf den Kunden übertragen. Direktionsrecht ist: Du kommst morgens zur Arbeit und dein Chef sagt dir, was du tun musst. Wir wissen, dass wir alle mehr Selbstverantwortung im Job haben, aber arbeitsrechtlich ist es relativ platt runterzubrechen.

Gibt es harte Kriterien, um Scheinselbständigkeit zu erkennen? 

Tino Volbracht:
Das ist doch wahrscheinlich ziemlich schwer abzugrenzen, wo der Chef ein Weisungsrecht hat und wo nicht. Also wenn ich mir überlege: Klar, Urlaubsanträge genehmigen, das ist ein ganz hartes Kriterium, aber wenn der jetzt zum Beispiel sagt: „Ja, ruf doch mal den an“, oder: „Du könntest ja mal den anrufen“, das ist doch Wischiwaschi, oder? Gibt es, sage ich mal, so 2, 3 harte Kriterien, wo dann die Beamten sagen: „Auf jeden Fall ist der jetzt scheinselbstständig“, oder auch andersrum: „Auf keinen Fall ist der scheinselbstständig“?
 
Kristian Borkert:
Ja, so richtig harte Kriterien gibt es da nicht. Das ist alles interpretationsfähig. Jetzt kann man sagen: „Ja, hätten die doch machen können“. Ja, hätten Sie machen können, haben sie aber nicht. Jetzt ist die Frage: Haben sie es nicht gesehen oder haben sie es nicht gewollt? Das muss jeder selber für sich beantworten. Es bestehen ja gerade ganz wichtige Diskussionen, auch hier mehr Klärung reinzubringen seitens der Wirtschaft, weil das natürlich ein schwieriges und wenig tragbares Thema ist für ein Wirtschaftsunternehmen, zu sagen: „Wie soll ich mich denn jetzt verhalten? Muss ich jedes Mal zum Anwalt? Muss ich da tatsächlich so viel Aufwand reinstecken?“ Und da wünscht man sich natürlich einfache, klare und transparente Regelungen. Aber vielleicht zu den Inhalten: Bevor es diese gesetzliche Neureglung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes gab, gab es natürlich schon jede Menge Rechtsprechungen vom Bundesarbeitsgericht, was denn ein Arbeitsvertrag ist, wie ich das an verschiedenen Indizien abgrenzen kann von einem werkvertraglichen oder dienstvertraglichen Verhältnis. Und was dann in der Gesetzesreform passiert ist, ist, dass die diese Kriterien übernommen haben. Das ist im Prinzip die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes, die jetzt im Gesetz steht in der neuen Fassung. Also das ist dann definiert: Bei einem Arbeitsvertrag wird der Arbeitnehmer im Dienste eines anderen zur Leistung – und jetzt kommt es – weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet. Das Weisungsrecht kann dann Inhalt, Durchführung, Zeit oder Ort der Tätigkeit betreffen. Also wenn dich dein Chef halt jetzt in das ein oder andere Büro schickt und sagt: „Du arbeitest jetzt heute hier“, dann kann der das im Grunde tun.
 
Tino Volbracht:
OK, mal eine Frage. Wir machen mal das Beispielszenario: Ich wäre jetzt Entwickler, ich wäre Freelancer, Arbeitnehmerüberlassung möchte ich nicht machen, weil ich möchte ein bisschen Geld sparen. Also ist ja häufig auf dem Markt wirklich so, dass keiner groß Lust darauf hat. Jetzt fange ich an im Scrum Team und im Scrum Team gibt es ja auch verschiedene Meetings, das heißt, es gibt Dailies und Retrospektiven, bei denen man darüber spricht, was man besser machen kann im Team auch. Wie würdest du das sehen?

Bei Scrum in Reinform haben wir keine Hierarchie und damit keine Weisungsgebundenheit  

Kristian Borkert:
Das ist natürlich ganz spannend. Gerade bei Scrum habe ich ja eigentlich keine Hierarchie, das heißt, jeder Entwickler, also das Entwicklungsteam, der Product Owner, der Scrum Master, die agieren alle innerhalb von den Aufgaben, aber keiner ist dem anderen übergeordnet. Und wenn ich eine Weisungsbefugnis habe disziplinarischer Art, dann brauche ich ja so eine Über- und Unterordnung.

Das Gesetz sagt eben zur Weisungsgebundenheit – die definieren das negativ. Also weisungsgebunden ist, wer nicht im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann. Das hängt dann immer von der jeweiligen Tätigkeit und von der Eigenart dieser Tätigkeit ab, aber wenn ich mir jetzt das Scrum Team ankucke, da arbeite ich ja nach dem Pull-Prinzip. Das heißt, der Product Owner stellt mir die User Stories vor und sagt: „Naja, in welcher Reihenfolge hätte er sie denn gerne?“, und ich als Entwicklungsteam schaue: Was kriege ich in meinen Sprint rein? Und kann eben natürlich auch Themen ablehnen, wenn ich sage: „Das passt nicht mehr“, oder: „Das haben wir nicht richtig verstanden.“ Und diese Arbeitsweise, diese Organisationsform spricht ja gegen Weisung, zumindest gegen disziplinarische Weisung. Der sagt nur: „Ich hätte gerne“, und die anderen sagen: „OK, wir bauen dir das.“ Wo ist da die Weisung?
 
Tino Volbracht:
Spannend, OK. Und das wäre jetzt für ein gesamtes externes Scrum Team. Was wäre denn, wenn es, sagen wir mal, 3 interne Entwickler wären und jetzt kommt der externe Entwickler mit dazu? Macht das einen Unterschied?

Achtung bei alten Führungsmustern mit direktiver Führung  

Kristian Borkert:
Grundsätzlich habe ich dann natürlich keinen Unterschied in dem Thema Weisung. Hier gibt es immer 2 Kriterien. Das eine ist: Welche vertragliche Leistung lege ich denn fest? Welche vertraglichen Regelungen treffe ich für die Zusammenarbeit? Also die vertragliche Ebene, die ist immer ein erstes Indiz. Was wollen denn die Parteien? Wie wollen sie zusammenarbeiten? Und dann aber viel wichtiger ist es, die tatsächliche Durchführung sich anzuschauen. Und das ist auch das, worauf die Gerichte am Ende abstellen. Wenn ich jetzt ein Scrum Team habe, wo keiner anfängt, dem anderen zu sagen, was er zu tun hat, und die das auch ganz diszipliniert durchhalten bis zum Ende – also the real Scrum, the pure Scrum – dann wird man da rein theoretisch gar nicht in Probleme kommen. Die Praxis zeigt aber, dass die Leute natürlich eine Historie haben. Und es kann sein, dass der Product Owner oder der Scrum Master oder vielleicht auch so vom Selbstverständnis die internen Entwickler sagen: „Ja, das ist doch der Externe. Dem sage ich jetzt, was er machen muss.“ Vielleicht ist der Scrum Master so eine ehemalige Führungskraft, dann hat man gesagt: „Was macht man mit dem? Willst du nicht Scrum Master werden? Da wirst du Master of Desaster sozusagen. Das ist ja genau das, was du als Führungskraft sowieso bist. Ist das nicht für die neue, agile Organisation hier im Unternehmen eine tolle Weiterentwicklungsform für dich?“ Und dann hat man da so Scrum Master, die eigentlich als Projektleiter oder vorher auch als Führungskraft gewohnt waren, den Leuten Anweisungen zu erteilen. Und aus diesem Muster müssen die ja raus, weil sie ansonsten bei so einem gemischten Team tatsächlich Weisungen erteilen und tatsächlich eher ein Arbeitsverhältnis umsetzten als ein werkvertragliches oder dienstvertragliches Verhältnis.

Man muss immer unterscheiden bei den Weisungen: Die disziplinarischen Weisungen und die rein fachlichen Weisungen. Fachliche Weisungen sind erlaubt, auch in einem Team. Also der Product Owner kann natürlich sagen, was seine fachlichen Anforderungen sind. Jetzt aus der IT herausgegriffen: Wenn ich einem Malermeister sage: „Bitte streiche mir meine Kanzleiräume“, und er schickt dann seinen Gesellen, um das zu tun, dann hat der Chef ihm ja gesagt: „Pass auf, du gehst zum Kristian. Der hat da 5 Räume zu streichen. Farbe ist Weiß. Kuck, dass du das ordentlich machst und dass du heute Abend wieder da bist. Nimmst deine Materialien mit“, et cetera. So, dann kommt der bei mir an, dann sage ich: „Du, ich habe dir da hinten schon mal das Konferenzzimmer freigeräumt. Fange doch bitte da an. Danach machen wir Büro 1, Küche“, keine Ahnung. Das ist jetzt keine disziplinarische Weisung. Der kommt zu mir und weiß: „Ich muss 5 Räume streichen in Weiß.“ Was wir da nur koordinieren, ist die Reihenfolge, und das ist fachlich in Ordnung.

Kann man Scheinselbständigkeit vermeiden anhand der Länge einer Beauftragung? 

 
Tino Volbracht:
OK. Spannend, OK. Ich höre oft, die Länge der Beauftragung spielt auch eine Rolle. Ist das ein Fake oder ist da was dran?
 
Kristian Borkert:
Das sind alles so Indizien, die man macht, um das Thema Scheinselbstständigkeit, beziehungsweise vor allen Dingen Arbeitnehmerüberlassung nicht zu überspannen. Du hast eben bestimmte Dauern, wie lange eine Arbeitnehmerüberlassung möglich ist. Da gibt es die berühmten 18 Monate. Das ist auch das, was kursiert: „Keine Verträge mehr als 18 Monate“, aber ganz ehrlich, wenn du in den ersten 3 Monaten den schon behandelst wie einen Arbeitnehmer, dann greift das Gesetz. Das greift nicht erst nach 18 Monaten. Das heißt, man versucht, über diese Kriterien – das Gleiche ist so Eingliederung in die Betriebsorganisation: Die E-Mail-Adresse als Externer, dass du mit einem Schild auf der Brust in den Räumen des Kunden nur rumlaufen darfst, das dich kenntlich macht als externen Mitarbeiter, dass du natürlich bloß nicht eingebunden wirst in die Urlaubsgenehmigungsschleifen. Das sind alles natürlich ganz wichtige Kriterien, die dafürsprechen, dass du selbstständig bist und eben nicht wie ein Arbeitnehmer behandelt wirst. Da kann man natürlich verschiedene Details sehr, sehr hochstilisieren. Inhaltlich waren das Kriterien aus der alten Rechtsprechung, die aber nicht ins Gesetz überführt wurden. Und jetzt kann man sich natürlich hinstellen, sagen: „Ja, wenn der Gesetzgeber das nicht reingenommen hat ins Gesetz, dann hat er das so nicht mehr gewollt.“ Das ist eine juristische Ansicht. Du kennst ja vielleicht: „2 Juristen, 3 Meinungen.“ Ein anderer Teil der Juristen sagt dann: „Ja, für den war das so selbstverständlich, deshalb hat er es nicht reingeschrieben.“ Und bis das geklärt ist, dann dauert das ja ein bisschen. Also die Gesetzesänderung war jetzt 1.4.2017 und bis ich natürlich arbeitsgerichtlich und dann vielleicht auch letztinstanzlich da Entscheidungen habe, muss ich einfach so 2, 3 Jahre rechnen. Wenigstens mal. Bundesarbeitsgericht vielleicht auch mal länger.
 
Tino Volbracht:
OK.
 
Kristian Borkert:
Und deshalb müssen wir da noch warten. Und in dieser Übergangszeit würde ich aber immer, alleine aus der Vorsicht, das entsprechend so gestalten und auch versuchen, einfach noch aufrechtzuerhalten, dass man sagt: Also mal wenigstens eine externe E-Mail-Adresse. Dass die Externen im Betriebsrestaurant mitessen, ist, glaube ich, OK. Sie sollten nur nicht, ist aber auch steuerrechtlich schon ein Thema, gefördert werden wie die Internen. Das sind ja meistens reduzierte Preise in diesen Betriebsrestaurants. Das Ganze entschlankt sich oder wird eben weniger kompliziert, wenn ich tatsächlich remote arbeiten und eben nicht vor Ort bin. Das heißt aber nicht, dass vor Ort Meetings nicht möglich sind.

Man muss halt versuchen, diese Kommunikation vertraglich natürlich auch so zu regeln, dass es konkrete Ansprechpartner gibt, dass es Regelmeetings gibt et cetera und diese Kommunikationswege durch die Vertragsgestaltung und auch als Leistungspflichten auszugestalten, wenn ich werk- oder dienstvertraglich arbeiten will, denn das ist ja eine typische Eigenschaft bei einem Arbeitsvertrag. Da habe ich keine konkreten Leistungspflichten, sondern nur: Ich muss als Arbeitnehmer morgens antanzen und mein Chef sagt mir, was ich zu tun habe, oder er sagt es auf einer Wochenebene oder so, aber ich stimme mich da immer ab und er ist da auch im Grunde weisungsbefugt. Und bei einem Dienst- oder Werkvertrag, wenn ich das als vertragliche Pflicht möglichst genau reinschreibe, was denn zu tun ist, dann habe ich eine vereinbarte Leistung, also bin mehr in der Rolle des Malergesellen, der dann zu mir in die Wohnung kommt. Der weiß von vornherein, wenn er morgens kommt, was er zu tun hat. Wenn ich dann zu einem Meeting komme, Daily Scrum oder Review weiß ich genau, was da meine Aufgabe ist und meine Pflicht.

 
Tino Volbracht:
Also du denkst, auch das wäre kein Problem, so ein Daily durchzuführen?
 
Kristian Borkert:
Ich denke, das geht.
 
Tino Volbracht:
OK.

Der Scrum Master als Compliance-Wächter, um Scheinselbständigkeit zu vermeiden!

Kristian Borkert:
Die Frage ist natürlich immer: Wie diszipliniert sind die Parteien? Und da gibt es eben unterschiedliche Ansätze. Es gibt Unternehmen, die sagen: „Nein, nein, das ist alles total zu risikoreich. Wir machen Scrum Projekte oder agile Projekte nur über Arbeitnehmerüberlassung.“ Das ist so. Ich bin selber auch als Interim Legal tätig, hatte auch interessante Angebote von großen Unternehmen, die wollten aber nur Arbeitnehmerüberlassung und das hat für mich keinen Sinn gemacht. Dann musste ich das ablehnen. Wenn ich aber andere Unternehmen ankucke, zum Beispiel die DB Systel – also der IT-Dienstleister der Deutschen Bahn macht das zum Beispiel. Die fahren genau die – „entgegengesetzte Seite“ würde ich nicht sagen, aber die gehen mehr über Steuerung auf der Compliance Ebene. Also die machen Trainings für die Projektteilnehmer, damit jeder weiß, wie er sich zu verhalten hat, und legen natürlich ein Compliance System dahinter. Das heißt, ein Schritt ist nur das Training und die entsprechende Sensibilisierung der handelnden Personen. Das andere ist aber, dass ich das natürlich kontrolliere und ab und zu mal Stichproben mache und vielleicht eine Whistleblower Hotline einrichte. Und was ich ganz gerne dann mache, ist eben auch vertraglich, wenn jetzt der Scrum Master von einem Auftragnehmer kommt, dann den zu verpflichten, auch entsprechend diese Incompliance anzuzeigen, denn wenn ich am Ende des Tages aus der Scrum Perspektive kucke: Was ist denn die Aufgabe vom Scrum Master? Der muss dafür sorgen, dass Scrum als System, als Methode funktioniert. Die Methode funktioniert nicht, wenn einer anfängt, den anderen Anweisungen mitzuteilen, also wäre das ein klassisches Impediment, was man beseitigen muss.
 
Tino Volbracht:
Interessant, ja.
 
Kristian Borkert:
Ja, so könnte man ihn dann eben auch noch mal aus der Compliance Sicht benutzen.
 

Schütz ein Werksvertrag vor Scheinselbständigkeit?

Tino Volbracht:
OK, Thema Verträge habe ich eben gehört, Kristian. Es heißt oft auch, der Werksvertrag beispielsweise würde alles schützen. Mache einen Werksvertrag, dann hast du keine Probleme mehr. Ganz eingangs hast du schon was gesagt gehabt. Scheinwerksvertrag – was hat es damit auf sich? Und schützt der wirklich?
 
Kristian Borkert:
Ja, also Werk- oder Dienstverträge – zum einen, wenn sie gut beschrieben sind und wenn sie auch tatsächlich so umgesetzt wurden, sind sie eben keine Arbeitnehmerüberlassung. Das heißt, sie schützen, beziehungsweise ich kann diese Leistung durchführen, ohne in das Thema Arbeitnehmerüberlassung reinzugeraten. Was eben schwierig wird, ist die Abgrenzung. Deshalb macht DB Systel zum Beispiel dieses Compliance Thema und sensibilisiert die Leute in der tatsächlichen Umsetzung. Was nicht schützt, ist ein Vertrag, wo drinsteht: „Ich hätte gerne Unterstützung für 20 Personentage zum Preis von X“, denn da ist bereits das erste Kriterium: „Was ist denn zu leisten?“, nicht wirklich aussagekräftig dargestellt. Also das ist wichtig bei der Vertragsgestaltung, schon darauf zu achten: Was ist denn eigentlich der Leistungsinhalt? Und ist der bestimmt: Hat sich quasi der Auftragnehmer auch dazu verpflichtet und schickt nur seinen Mitarbeiter rein oder einen Subunternehmer, den er weiterverpflichtet hat? Und wir das auch tatsächlich so umgesetzt? Dann ist Werk- und Dienstvertrag etwas, was eben im agilen Bereich auch – ich will nicht sagen „unproblematisch“, aber sehr gut umgesetzt werden kann parallel zur Arbeitnehmerüberlassung in agilen Projekten. Schwierig wird es eben, wenn die Leute sich in der tatsächlich Umsetzung nicht daran halten oder wenn ich Konstellationen reinnehme, wo man nicht sagen kann, dass tatsächlich ein werkvertragliches Risiko effektiv getragen werden kann. Beispiel: Ich möchte bei einem Unternehmen ein Scrum Team, also ein Entwicklungsteam, bestellen mit einem Scrum Master. Dann kann ich das relativ gut abgrenzen. Der Unternehmer sagt dann: „Hier mein Scrum Master kontrolliert meine Projektmethode, und mein Entwicklungsteam, die 5 Leute, arbeiten auf meiner Seite die Aufgaben ab und wir liefern die Inkremente aus.“ Das ist ja auch das Klassische beim Werkvertrag: Ich bestelle was und es wird am Ende geliefert. Schwierig wird es, wenn in dem 5-köpfigen Scrum Team 3 Leute vom Kunden drin sind. Wie soll ich denn als Werkunternehmer dann tatsächlich das Risiko tragen, dass auch gut geliefert wird, dass erfolgreich programmiert wird? Weil ich ja tatsächlich nur 2 eigene Menschen dadrin habe. Und ich muss mich dann darauf verlassen, dass quasi die anderen 3 von meinem Kunden auch die Qualität liefern, die ich brauche, um meine Leistung erfolgreich abzuliefern. Das in so einer Reinform ist dann sehr schwierig, weil ich kann dieses Risiko eigentlich nicht tragen.
 
Tino Volbracht:
OK.

Achtung, wenn der Scrum Master vom Kunden gestellt wird!

 
Kristian Borkert:
Anderes Thema ist: Der Scrum Master kommt vom Kunden. Dann kontrolliert der Kunde meine Leistungsmethode. Da sage ich auch: Also ganz ehrlich, ich muss schon selber steuern können, wie ich arbeite.
 
Tino Volbracht:
Ja, das stimmt.
 
Kristian Borkert:
Ja, sonst kommt man da nicht raus. Also man muss ein bisschen überlegen: Wie baue ich das auf? Wichtig ist natürlich auch, die Leistung gut zu beschreiben und die Zusammenarbeit, Kommunikation, dass eben da auch Kommunikationspflichten drinstehen. Wie werden Entscheidungen getroffen? Et cetera. Also arbeitet das Entwicklungsteam nach Pull oder nach Push? In Scrum ja eher nach Pull. Und da kann man natürlich dann sehr viel Vorsorge treffen und dann eben entsprechend umsetzen.
 
Tino Volbracht:
OK.
 
Kristian Borkert:
Dennoch schützen die besten Verträge nichts. Auch schon vor der Gesetzesänderung gab es Situationen, wo einfach rechtswidrige Arbeitnehmerüberlassung erkannt wurde. Ganz bekannt ist ein Urteil beim Daimler, wo – das ist, glaube ich, auch bekannt – die Computer-Center mit Daimler einen wunderbaren IT-Servicevertrag hatten und Subunternehmer der Computer-Center beim Daimler vor Ort tatsächlich so Maintainance Jobs gemacht haben. Das Mobiltelefon hat irgendwie ein Problem gehabt, das musste angebunden werden, der Rechner vor Ort, da sollte mal einer drüberkucken und so weiter und so fort. Und da hatten die Subunternehmer das seit mehreren Jahren gemacht und die hatten auch, wie gesagt, einen tollen Vertrag mit einem Ticketsystem und da liefen so ungefähr 8.000 bis 9.000 Tickets jährlich drüber. Schwierig war in dem Fall, und das hat das Arbeitsgericht – das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg war es, meine ich, sogar – dann auch entsprechend gesehen, dass die Abteilungsleiterin beim Daimler diesen externen Kollegen dann morgens so gesagt hat: „Du, der hat mich heute angesprochen. Kuck mal erst bei dem. Der hat ein Problem mit seinem Telefon. Und danach gehst du zu dem und dann kuckst du dir den Server an.“ Also die hat quasi deren Arbeitsalltag gemanagt, Weisungen erteilt. Und das haben die, ich meine, in so knapp 30 Fällen in Verfahren nachgewiesen. Die hat dann gesagt: „Ja, und nachher legst du mir das Ticket an.“ Und das haben die nachgewiesen und 30 Fälle von 8.000 Tickets – man muss sich diese Relation mal vorstellen – haben gereicht, dass das Arbeitsgericht gesagt hat: „Naja, ihr habt vielleicht einen Vertrag vereinbart, aber der wurde tatsächlich nie so umgesetzt. Herzlich willkommen, Daimler, ihr habt 2 neue Arbeitnehmer.“

Und dann wird es natürlich spannend, wenn die vielleicht seit 10 Jahren – das ist ja nicht unüblich, dass ich da auch längerfristige Leistungen habe. Ich möchte ja auch als Kunde Leute, die mein Unternehmen kennen. Und die waren, glaube ich, über 10 Jahre beim Daimler. Die sind dann als Arbeitnehmer da rein rechtlich fingiert durch das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz. Natürlich mit rückwirkenden Ansprüchen auf Pensionszusagen, dann hatte der Daimler natürlich, weil er es auch nicht wusste, dass er Arbeitnehmer hat, Sozialversicherungsgaben nicht abgeführt, und das ist dann auch für die Unternehmen strafbar, beziehungsweise für die Entscheider, jetzt Einzelunternehmer oder Geschäftsführer, Vorstände, wenn die Sozialversicherungsabgaben nicht gezahlt werden – insbesondere die Arbeitnehmer bei Sozialversicherungsabgaben.
 
Tino Volbracht:
Sagt man da, maximal 2 Jahre oder geht das die letzten 10 Jahre zurück?
 
Kristian Borkert:
Also die Verjährungsfristen bei den Sozialversicherungsabgaben sind 4 Jahre. Und bei vorsätzlich vorenthaltenen Beiträgen sogar 30. Gleichzeitig hast du natürlich Umsatzsteuer abgezogen, weil in der Rechnung vom Lieferanten war ja Umsatzsteuer drin. Die ist natürlich dann unberechtigt und führt quasi ja zu einer Ersparnis bei dir, das heißt, du hast Steuern hinterzogen. Da ist dann so der Rahmen Steuerfestsetzung 4 Jahre, beziehungsweise wenn es tatsächlich eine Steuerhinterziehung war, ist dann 10 Jahre die Frist. Also das sind so die Themen, die dann auf die Kunden zukommen, deshalb sind auch einige vielleicht auch aus Unwissenheit oder einfach weil sie sagen: „Wir können dieses Risiko jetzt unternehmerisch nicht gebrauchen“, die sagen eben: „OK, wir machen nur Arbeitnehmerüberlassung bei agilen Projekten“, insbesondere wenn ich gemischte Teams habe oder oder oder. Und andere wie die DB Systel haben erkannt: Das ist schwierig, die guten Leute zu kriegen.
 
Tino Volbracht:
Richtig. Das ist auch meine Erfahrung, ja.
 
Kristian Borkert:
Und suchen andere Möglichkeiten und schauen eben, dass sie das mit einem Compliance System aussteuern. Und was jetzt ja technisch passieren würde bei einer Strafbarkeit, ist – es gibt ja diese ganzen Checklisten-Sachen, wo man dann sieht: „Ja, das, das und das Kriterium. Das, das und das“, dann wird die Ampel gelb und man sagt: „Schwierig“. So eine Checkliste könnt ihr auch zum Beispiel bei mir abrufen in meinem Blog unter sourcingrecht.de und da habe ich auch eine Checkliste aufgeführt.
 
Tino Volbracht:
Ja, sehr gut. Diese Checklist ist zu finden unter:

? Checkliste Scheinwerkvertrag
https://sourcingrecht.de/checkliste-abgrenzung-scheinwerkvertrag 
 
Kristian Borkert:
Aber der Punkt ist einfach: Wenn du nachher im Einkauf dasitzt oder in der Personalabteilung und diese Checkliste ausfüllst und es wird rot und du kannst nachher das nicht ablehnen – das kann ja politisch schon mal sein – dann hast du echt einen schwarzen Peter. Wenn du das dann durchwinkst und bearbeitest, leistest du im Zweifelsfall Beihilfe. Das ist natürlich eine ganz unglückliche Situation. Also ich rate immer dazu, diese Checklisten auch tatsächlich nur dann einzuführen und auch gegebenenfalls negative Fälle zu dokumentieren, wenn ich die über ein Compliance System effektiv aussteuern kann, sonst sitzt halt irgendeiner in der Verwaltung da und man sagt dann: „Ja, du hast halt mitgearbeitet.“ Da kann ich mich nicht rausreden: „Das war mein Chef.“ Also das ist meine Strafbarkeit. 

Den einzelnen Mitarbeiter kann es wegen Beihilfe treffen! Nur nur seinen Chef!

Tino Volbracht:
Also es würde auch auf den einzelnen Mitarbeiter treffen?
 
Kristian Borkert:
Genau, es würde und es hat schon, weil am Ende wird das verhandelt – deshalb kommt auch dann der Zoll, wenn das ein Problem ist mit der rechtswidrigen Arbeitnehmerüberlassung. Rechtlich ist das ähnlich wie Schwarzarbeit und dann hast du halt Beihilfe zur Organisation und Durchführung von Schwarzarbeit geleistet. Wenn du wusstest, dass es eben ein Scheindienstleistungsvertrag oder ein Scheinwerkvertrag war, und das vielleicht sogar –
 
Tino Volbracht:
Ich finde das hochinteressant, dieses Thema, weil wenn man es richtig macht, ist es ja eigentlich kein Problem.
 
Kristian Borkert:
Genau.
 
Tino Volbracht:
Man muss es einmal komplett richtig aufsetzen und dann später auch noch mal richtig kontrollieren?
 
Kristian Borkert:
Exakt.
 
Tino Volbracht:
Also da habe ich auch verstanden gehabt: Nicht der richtige Vertrag am Anfang und die Checkliste bringt dann das Risiko runter, sondern auch konstant immer wieder kucken: Wird das auch so gelebt, wie es geplant war?
 
Kristian Borkert:
Exakt.
 
Tino Volbracht:
Auf der anderen Seite gibt aber dieses wirklich richtig große Risiko, was ich am Anfang gemacht habe. Ich habe es auch schon erlebt in verschiedenen Unternehmen. Da kamen die Beamten und das war echt nicht schön.
 
Kristian Borkert:
Ja.
 
Tino Volbracht:
Und du bietest ja diese Dienstleistung auch an, oder?
 
Kristian Borkert:
Ja, klar.

HINWEIS: Leobalo benutzt ein einzigartiges Compliance System zum regelkonformen Personaleinsatz!    

Tino Volbracht:
Dass du diese Verträge, sage ich mal, sauber definierst und Beratungsleistung dazu gibst.
 
Kristian Borkert:
Genau.
 
Tino Volbracht:
Das Geld ist aus meiner Sicht auf jeden Fall sehr gut investiert dabei. Auch um diese Top-Talente zu bekommen. Auch das vergessen manche Unternehmen. Die sagen halt: „OK, ich will kein Risiko haben, also machen wir halt nur ANÜ oder stellen noch einen mehr ein“, aber die Top-Talente, gerade in der Entwicklung, sind nicht nur 20% besser. Die sind 300% besser. Ja, da muss man mal drüber nachdenken.
 
Kristian Borkert:
Ja, klar.
 
Tino Volbracht:
Noch eine Frage, Thema Nearshoring. Das bieten wir ja auch an. Wie verhält es sich damit? Da sagen jetzt manche: „Ja, die sind ja im Ausland, in Bulgarien beispielsweise, da haben wir kein Problem mit. Wir brauchen keine Listen, wir müssen nichts kontrollieren. Alles gut.“ Kannst du das bestätigen oder ist das auch etwas, was man beachten muss?
 
Kristian Borkert:
Naja, grundsätzlich macht Arbeitnehmerüberlassung – das ganze Thema gilt am deutschen Arbeitsmarkt. Und es gibt natürlich Regelungen, wenn Arbeitnehmer von ausländischen Unternehmen auf den deutschen Arbeitsmarkt überlassen werden. Erste Voraussetzung ist: Überhaupt Arbeitserlaubnis in Deutschland. Das heißt, wenn du zum Beispiel Nearshoring aus Polen machst, EU, ist das Ganze ein bisschen einfacher, denn die EU-Bürger haben das ja mal per se. Trotzdem musst du da eben auch schauen, dass du, wenn du Arbeitnehmerüberlassung tatsächlich machst, die entsprechenden Genehmigungen hast und so weiter.

Und das andere ist natürlich, dass du die Leistung gestaltest, das heißt, wenn du eine eigene Leistung verkaufst und du kaufst deinen Leistungsanteil oder einen Teil deiner Leistung als Nearshore Leistung ein, Entwicklung von einer App et cetera, dann kannst du natürlich das Thema Subunternehmer machen und in der tatsächlichen Umsetzung Werk- und Dienstleistungsverträge gestalten und leben.
 
Tino Volbracht:
Und wenn ich mir einen Freelancer holen würde aus Polen beispielsweise? Hätte ich dann auch wieder das gleiche Risiko oder kann ich damit auch Scheinselbständigkeit vermeiden?
 
Kristian Borkert:
Wenn du den quasi als Arbeitnehmer reinvermittelst, dann liegst du natürlich in dem Bereich Arbeitnehmerüberlassung. Wenn du den Freelancer nimmst, um bei deinem Projekt ein Leistungsthema abzudecken, also bei dem Projekt, was du als Unternehmen erbringt.
 
Tino Volbracht:
Ja, genau, das meine ich.
 
Kristian Borkert:
Da sagst du: „Ich brauche noch eine Java-Entwickler. Den kenne ich“, oder irgendeinen Blockchain-Entwickler, was auch immer, dann kannst du den natürlich über einen Dienstleistungsvertrag einstellen und dann, wenn du die Dienstleistung gut beschreibst, vertraglich gestaltest und auch so lebst, kann er natürlich in dem Projekt Leistungen erbringen, die du dann ja deinem Kunden verkaufst. Aber du verkaufst eben nicht seine Kapazität, sondern du verkaufst die Leistung, die du versprochen hast.
 
Tino Volbracht:
OK, also von daher auch ein gutes Modell mit dem Nearshoring? 

Ein Compliance-System hat viele Vorteile

 
Kristian Borkert:
Das kann man, wenn man es gut gestaltet und darauf achtet. Und auch da würde ich immer noch empfehlen, bei diesen Sourcing Themen auch ein Compliance System drüberzulegen. Erster Schritt ist ja immer, die Leute zu sensibilisieren, den richtigen Vertrag zu finden. Wenn ich bestimmte Leistungskonstellationen habe, die einfach sagen: „Der soll vor Ort sein und soll behandelt werden wie ein Arbeitnehmer“, dann brauche ich mit Dienstleistung ehrlich gesagt nicht anzufangen. Wenn ich aber Raum habe für Dienst- und Werkleistungen, dann kann ich natürlich auch den Vertragstyp wählen, ich kann die Leute trainieren, wie sie denn sich zu verhalten haben, was allgemein zu beachten ist, an wen sie sich zu wenden haben, wenn irgendwie ein Problem besteht et cetera. Dann Leistung genau beschreiben, Vertrag schließen, zusammenarbeiten, Leistung erbringen.

Ja, also du kennst ja Plan, Do, Check, Act. Da sind wir bei Do. Checken muss ich natürlich auch. Ich muss mal vorbeigehen, ich muss mal eine Stichprobe machen: Wie läuft denn die tatsächliche Umsetzung? Und wenn ich dann herausfinde, dass irgendein Problem da ist und ich es nicht irgendwie schnell abstellen kann, dann muss ich halt überlegen: Wie muss ich rechtlich reagieren? Muss ich noch mal sensibilisieren, dann gibt es die Möglichkeit einer festhaltenden Erklärung. Das ist, zu sagen, dass der überlassene Arbeitnehmer sagt, er möchte an seinem Arbeitsverhältnis aber festhalten. Ist aber ein sehr, sehr formeller Akt, wo du zur Arbeitsagentur musst und dir das innerhalb von 3 Tagen bestätigen lassen musst. Also das passiert nicht zufällig. Jedenfalls musst du auch sagen: Dann muss ich den Vertrag halt beenden. In der Vergangenheit war es eine rechtswidrige Arbeitnehmerüberlassung, aber ich beende ihn jetzt, weil ich es erkannt habe.

Dieses ganze Compliance System hat eine Rückwirkung auf die strafrechtliche Beurteilung. Du kannst ja nicht sagen, du hast mit bedingtem Vorsatz gehandelt, wenn du ein ziemlich aufwändiges Compliance System aufgebaut hast. Du baust dieses Compliance System ja auf, um genau das zu verhindern, dass die tatsächliche Umsetzung in irgendwelche rechtswidrige Arbeitnehmerüberlassungen abgleitet. Und das ist natürlich sowohl für potenzielle Täter, Geschäftsführer, Vorstände in dem Bereich rechtswidrige Arbeitnehmerüberlassung, aber auch für Mitarbeiter, die in der Organisation mitarbeiten und vielleicht Beihilfe leisten würden, einfach eine wirksame Entlastung, weil dann strafrechtlich nach meinem Dafürhalten da nicht dran zu rütteln ist, dass man sagt: „Wir wollten die Straftat Hinterziehung von entsprechenden Sozialversicherungsbeiträgen oder Vorenthaltung von Arbeitsentgelt begehen“, § 266a, Strafgesetzbuch. Ja, und dann – ich will nicht sagen „kommt man da raus“ – man kommt gar nicht erst rein.

Glaskugelgucken. Was passiert wohl in Zukunft? 

 Tino Volbracht:
OK, ja, noch mal ein guter Tipp. Vielleicht zum Schluss noch eine Frage, Kristian. Wir haben gerade über den aktuellen Stand gesprochen, Staus quo. Was passiert in Zukunft? Gibt es da irgendwas, wo du schon mehr weißt? Wird sich es noch mal ändern, was vor 3 Jahren passiert ist? Wird das einfacher werden für Freelancer oder wird es eher schwieriger?
 
Kristian Borkert:
Ja, also es gab ja schon bei der Gesetzesinitiative zum 1.4.2017 zumindest im Bundestag den Austausch, dass der Gesetzgeber eben nicht wollte, dass IT-Leistungen jetzt durch die Änderung anders beurteilt werden. Das heißt, dieses Daimler Urteil, was vorher ja auch war und nach altem Recht war, würde noch genauso passieren, aber diese Verschärfung sollte jetzt nicht dazu führen, dass die neuen IT-Leistungen oder nach der neuen Gesetzeslage vereinbarten Verträge alle zwangsläufig unter Arbeitnehmerüberlassung fallen. Das ist natürlich ein Bundestagsdokument. Es ist jetzt nicht ins Gesetz eingeflossen. Und da arbeiten verschiedene Interessenverbände dran, hier mehr Klarheit zu schaffen, insbesondere zum Beispiel auch Vermittlungsagenturen sind da engagiert, weil das natürlich ein Kernfeld von deren Geschäftssystem ist, zu sagen: „Wir möchten hier auch unseren Kunden Sicherheit bieten.“ Also das ist nicht nachhaltig, wenn mein Kunde dauernd Probleme hat. Insofern kann ich natürlich mit einem Leistungsangebot auch rangehen und sagen: „Hier, wir bringen ein Compliance System vielleicht mit, wir prüfen das selber, wir holen uns Feedbacks auch von dir ein und wenn es ein Problem ist, dann steuern wir das proaktiv an.“ Also man kann das von beiden Seiten betreiben. Ich kann es immer nur nebenbetreiben, aber auch als Agentur, und dann hat man da auch einfach, ich sage mal, noch mal einen Sicherheitseckpfeiler mehr.
 
Tino Volbracht:
Also momentan können wir nicht abschätzen von der Politik, ob sie es verschärft oder ob es so bleibt, oder? Keine Tendenz möglich.
 
Kristian Borkert:
Wir müssen im Augenblick damit leben.
 
Tino Volbracht:
OK. Gut, es gibt ja Möglichkeiten. Du hast viel dazu aufgeführt. Man kann damit weiterarbeiten. Von daher würde ich jetzt erst mal sagen: Kristian, erst mal ganz herzlichen Dank für deine Zeit. Das war richtig wertvolles Wissen. Also Führungskräfte hören dir ja auch zu. Es macht vielleicht sogar Sinn, diese Folge noch mal ein zweites Mal in Ruhe durchzuhören und zu schauen: Was kann ich dafür in meiner Firma übernehmen? Und Kristian bietet das auch als Dienstleistung an, diese Verträge zu erstellen – das weiß ich selber – und natürlich auch Beratungsleistung. So, was verlinken wir jetzt noch? Die Sourcing Checkliste, Kristian, kann ich gerne verlinken in den Shownotes.
 
Kristian Borkert:
Ja, sehr gerne. Den Link schicke ich dir nachher.
 
Tino Volbracht:
Genau, und deine Internetadresse. Wo finde man dich im Internet?
 
Kristian Borkert:
Man findet mich unter www.juribo.de. Man kann sich es einfach merken mit „Haribo, aber juristisch“, wobei es aus „Jurist Borkert“ kommt, aber „Haribo juristisch“ bleibt besser hängen.
 
Tino Volbracht:
Das stimmt. So habe ich es mir auch gemerkt. Prima, alles klar. Also ich danke dir, Kristian, und ich wünsche dir noch einen ganz schönen Tag. Bis bald mal wieder.
 
Kristian Borkert:
Ja, Tino, ich danke dir. War mir eine Freude und ebenso viel Spaß noch heute.